Wie viel Gewebe muss entfernt werden - die Operationsverfahren
Das Ziel der modernen Schilddrüsenchirurgie liegt in einer befundorientierten und wenn möglich funktionserhaltenden Resektion. Das krankhaft veränderte oder funktionell überaktive (hyperthyreote) Schilddrüsengewebe sollte komplett entfernt, gesundes Schilddrüsenparenchym nach operationstechnischer Möglichkeit erhalten werden. Durch subtile Darstellung des Stimmbandnerven (Nervus laryngeus recurrens) unter mikrochirurgischer Technik und steter Funktionsprüfung durch das Neuromonitoring sowie die penible Schonung der Nebenschilddrüsen kann heute im erforderlichen Fall der gesamte Schilddrüsenlappen nahezu ohne erhöhte Komplikationsrate (Recurrensparese = Stimmbandnervlähmung, Hypocalcämie/Hypoparathyreoidismus = Kalzium-/Parathormonmangel) entfernt werden. Diese ausgedehnten Schilddrüsenresektionen sind erforderlich bei komplett knotendurchsetzter Struma, bei Basedow-Überfunktion oder beim Schilddrüsenkarzinom. Neben der komplikationsfreien Operation besteht demnach das Ziel der Operationstaktik in der langfristigen Heilung der Erkrankung bzw. der Vermeidung von Rezidiven (= Wiederauftretens von Knoten, von Schilddrüsenüberfunktion oder von neuerlichem Krebswachstums).
Die funktionserhaltende Knotenresektion (Enukleationsresektion) - der "Minimaleingriff an der Schilddrüse"
Funktionserhaltende Resektion: nur der Knoten wird entfernt, das gesunde Gewebe bleibt erhalten |
Die funktionserhaltende Knotenresektion stellt das sparsamste Operationsverfahren dar und kann – je nach Lage des Knotens - für gutartige solitäre Knoten sehr geeignet und empfehlenswert sein. Dieses Verfahren geht mit dem minimalsten Gewebeverlust einher und gewährleistet somit meistens auch nach der Operation eine normale Schilddrüsenfunktion. Schilddrüsen-Hormonersatztabletten sind dann nicht erforderlich. Nicht möglich ist dieses Verfahren bei ungünstiger Position des Knotens zB. an der hinteren Schilddrüsenkapsel oder in der Nähe des Stimmbandnervs, bei großen Knoten oder bei begründetem Krebsverdacht (hier sollte primär eine komplette Lappenentfernung inklusive der umgebenden Lymphknoten erfolgen). Ob die "funktionskritische Resektion" möglich ist, kann nur vom Operateur selbst durch hochauflösenden Ultraschall für jeden Patienten individuell beurteilt und entschieden werden.
Operatives Vorgehen: Knoten am oberen Schilddrüsenpol: die oberen Polgefäße werden unterbunden und durchtrennt und das Oberhorn der Schilddrüse nach vorne mobilisiert. Der Knoten kann nun unter Mitnahme eines zarten Gewebesaums entfernt werden. Die Schilddrüsenkapsel wird vernäht und das gesunde Restgewebe des betroffenen Lappens verbleibt. Der Stimmbandnerv ist dabei außerhalb der Gefahrenzone, er muss nicht freigelegt werden, sondern verbleibt in geschützter Position.
Bei Einzelknoten im vorderen Bereich der Schilddrüse kann der obere Schilddrüsenpol belassen werden, die Vorgangsweise ist sonst ähnlich.
Solitäres autonomes Adenom bei einer 23 jährigen Patientin: der solitäre heiße Knoten dominiert und verursacht eine Überfunktion, die gesunde Schilddrüse arbeitet kaum, der normale Regelkreis der Schilddrüse funktioniert nicht.
Schon 3 Wochen nach sparsamer Knotenresektion zeigt das gesunde Gewebe eine reguläre Schilddrüsenfunktion, die Patientin muss keine Hormontabletten nehmen.
Das Operationspräparat des sparsam entfernten heissen Knotens
Die subtotale Resektion (belassener Schilddrüsenrest zwischen 3-4 g) – das Verfahren wird nur noch in Ausnahmefällen angewendet
Subtotale Resektion: Schilddrüsenreste von 3-4 ml blieben erhalten - oft ein Grund für ein Rezidiv und heute nur noch selten angewendet |
Die subtotale Resektion war über 100 Jahre hindurch das Standardverfahren in der Strumachirurgie. Rechts und links wurden jeweils Schilddrüsenreste von 3-4 ml Volumen belassen. Zu Zeiten, als noch keine Schilddrüsenersatzhormone verfügbar waren, hatte es den Vorteil, dass ausreichend Schilddrüsengewebe verblieben ist, um eine normale Schilddrüsenfunktion zu gewährleisten. Außerdem liegen dabei der Stimmbandnerv und die Nebenschilddrüsen außerhalb der Gefahrenzone und es kommt selten zu den Problemen der Stimmbandnervlähmung oder Nebenschilddrüsenunterfunktion. In der heutigen Zeit überwiegen allerdings die Nachteile: häufig enthält das Restgewebe Knoten und es besteht das Risiko des Nachwachsens. Die Operation dieses Rezidivs ist erschwert und risikoreicher. Außerdem kann man Patienten mit schwerer Überfunktion und Krebserkrankungen durch eine subtotale Resektion meistens nicht heilen. Die totale (oder fast totale) Thyreoidektomie ist heute die Therapie der Wahl, da sie durch die moderne Operationstechnik mit Darstellung des Stimmbandnerven, Neuromonitoring, mikrochirurgischer Technik mit Lupenbrille und Nebenschilddrüsenpräparation weitestgehend gefahrlos möglich ist.
So bleibt das "subtotale" Operationsverfahren reserviert für begründete Einzelfälle wie zB. größere, vorne liegende Einzelknoten. Eine subtotale Resektion ist heute also nur dann vertretbar, wenn der verbliebene Restlappen ein normales homogenes, nicht knotiges und nicht funktionell überaktives Gewebe enthält. Die subtotale Resektion ist auch anzuraten, wenn im Zuge der Operation des ersten Schilddrüsenlappens eine Gefährdung der Nebenschilddrüsen oder des Stimmbandnerven zu vermuten ist und man auf der 2. Seite möglichst schonend vorgehen will (Dunhill-Hartley Procedure). Beidseits subtotale Resektionen sollten heute nicht mehr durchgeführt werden.
Die "fast totale" Lobektomie - "near total" Lobektomie (belassener Schilddrüsenrest max. 1 g oder weniger)
Ausgedehnte Lappenresektionen werden als "fast totale" oder "near-total" Lobektomie bezeichnet. Betrifft das beide Schilddrüsenlappen, so spricht man von "fast totaler" Thyreoidektomie. Dieses Operationsverfahren hinterlässt besonders kleine Schilddrüsenreste und ist im Ausmaß der Resektion zwischen „subtotaler“ und totaler Lappenentfernung anzusiedeln.
Warum belässt man diese kleinen Schilddrüsenreste?
Stimmbandnerv und Nebenschilddrüsen können häufig dem Schilddrüsenlappen derart eng anliegen oder mit diesem untrennbar verbunden sein, dass man sie bei totaler Schilddrüsenentfernung gefährden würde. Bei gutartigen Strumen wird in solchen Fällen empfohlen, einen kleinen Schilddrüsenrest an jener Stelle zu belassen, an der der Nervus recurrens oder das Epithelkörperchen nicht anders zu erhalten ist. Operationstechnisch ist die Sichtschonung der Nebenschilddrüsen und die Darstellung des Stimmbandnerven einschließlich seiner Funktionsprüfung mittels intraoperativem Neuromonitoring obligat.
"near total" Thyreoidektomie: nur kleinste Schilddrüsenreste verbleiben |
Kleiner Schilddrüsenrest zur Schonung der oberen Nebenschilddrüse |
Kleiner Schilddrüsenrest zur Schonung der unteren Nebenschilddrüse |
Die Lobektomie =Hemithyreoidektomie (komplette, extrakapsuläre Lappenentfernung; wenn beidseitig erfolgt = Thyreoidektomie)
(Totale) Thyreoidektomie: komplette Schilddrüsenentfernung |
komplett entfernte Nebenschilddrüse mit dargestelltem Stimmbandnerv und Nebenschilddrüsen |
Die Lobektomie stellt eine totale Lappenentfernung dar. Werden beide Lappen komplett entfernt, so spricht man von einer Thyreoidektomie.
Die Hemithyreoidektomie ist bei grossen, einseitigen oder auch krebsverdächtigen Knotenbildungen angebracht, die Thyreoidektomie stellt bei durchgehend knotig veränderter Schilddrüse, bei schwerer Überfunktion und bei den meisten Formen von Schilddrüsenkrebs das Verfahren der Wahl dar. Wie bei allen ausgedehnten Operationsverfahren ist die Sichtschonung der Nebenschilddrüsen und die Darstellung des Stimmbandnerven einschließlich seiner Funktionsprüfung mittels intraoperativem Neuromonitoring obligat.